Philipp Gattermann
kombiniert Schreinerei mit seiner Leidenschaft für den Naturschutz.
In Zusammenarbeit mit einem Ingenieurbüro und der Jagd- und Fischereiverwaltung des Kantons Thurgau hat die Gemeinde Bettwiesen ein Projekt ausgearbeitet, welches für Mensch und Tier ein möglichst funktionierendes Nebeneinander ermöglichen soll. Ende letzten Jahres wurde das Projekt beim Rückhaltebecken Neustocken erfolgreich umgesetzt. Gemeindepräsident Patrick Marcolin ist erfreut über den Erfolg des BPAO («Beaver Proof Add On»)
Bettwiesen Das angelegte Rückhaltebecken Neustocken dient im Hochwasserereignis zur Abflussdrosselung des Aneterbachs in Richtung Lommis. Augenscheinlich hat dieses Becken einem Biber jedoch so sehr gefallen, dass er sich kurzerhand darin einquartierte und dieses auch gleich mit Staudämmen bebaute. «Diese Bibertätigkeiten führten dazu, dass sich der Wasserspiegel im Bauwerk aufstaute und sich grosse Mengen an Schlamm im Becken ablagerten», erklärt Patrick Marcolin, Gemeindepräsident von Bettwiesen. Um die Funktionalität des Rückhaltebeckens zum Hochwasserschutz weiterhin gewährleisten zu können, mussten die Biberdämme entfernt und das Becken musste ausgebaggert werden.
Der Plan gestaltete sich als schwieriger, da Biber sowie die von ihnen erbauten Staudämme in der Schweiz schon seit dem Jahr 1962 unter Artenschutz stehen. Rund drei Jahre dauerte es, um darzulegen, dass die Biberbauten zwar ein herrliches Naturreservat erschaffen hatten, jedoch die Funktion des Beckens für den Hochwasserschutz stark beeinträchtigten. Ausserdem drohte die angrenzende landwirtschaftlich genutzte Fläche zu versumpfen. Schlussendlich wurde die Entfernung des Biberdamms am Neustocken bewilligt und 2022 ging das Projekt am Rückhaltebecken Neustocken los. Zunächst wurde das komplette Becken bis auf seinen ursprünglichen Zustand vom Schlamm und von den Ablagerungen befreit. «Aufgrund der Belastung des Schlammaushubs musste das Material entsprechend behandelt und entsorgt werden. Im Zusammenhang mit den Bauarbeiten wurden auch gleich die Unterhaltszufahrten und die Waldflächen aufgeforstet», so Marcolin.
Um Stautätigkeiten des Bibers im Auslaufbereich des Rückhaltebeckens künftig vorzubeugen, wurde beim Einlauf des Durchlasses nach kanadischem Vorbild ein «Beaver Proof Add On» befestigt. «Bei einem solchen BPAO handelt es sich um ein T-förmiges Rohrstück, welches bewirkt, dass Biber die Auslaufströmung weniger wahrnehmen und so weniger stark den Drang verspüren, den Auslauf mit einem Damm zu verbauen», so Michael Vogel von der kantonalen Jagd- und Fischereiverwaltung. Laut dem Biberexperten sei das Geräusch von fliessendem Gewässer wie ein Trigger für die Biber, den entsprechenden Gewässerabschnitt einzudämmen: «Das Rauschen motiviert Biber, zu bauen, und mit ihren Schnauzhaaren können sie genau feststellen, wo genau das Wasser abfliesst. Selbst Biber, die von Hand aufgezogen wurden, können Dämme bauen. Das ist in ihren Genen fest verankert.» Nicht nur das Dämpfen des Geräusches ist ein Vorteil des BPAO, auch seine Form eines ‹T› zeigt Wirkung. Es ist für einen Biber schwieriger, es zu verstopfen. Der Biber müsste unter Wasser darin eintauchen und Material einführen, doch das sei laut Vogel für die Tiere unnatürlich: «Die Biber erwarten, dass das Wasser oberflächlich abfliesst.»
Laut Vogel wurde diese Technologie in der Schweiz schon häufiger erfolgreich eingesetzt: «Die bisherigen waren aber nur etwa 50 Zentimeter gross und wurden hauptsächlich an Weiherausläufen angebracht.» Seit Ende letzten Jahres ist das BPAO in Bettwiesen nun in Betrieb und die Lösung aus Kanada funktioniert bisher tadellos. Der Biber hat sich einen neuen Ort unweit der alten Stelle gesucht, um einen neuen Damm zu bauen. «Wie es aussieht, funktioniert diese Lösung sowohl für die Menschen als auch für den Biber. Dass er sich dort nach wie vor wohlfühlt und nicht vertrieben wurde, zeigt mir, dass wir alles richtig gemacht haben», freut sich Marcolin. Er habe nämlich per se nichts gegen Biber: «Ich sehe den Biber nicht als Schädling, auch er hat seine Daseinsberechtigung. Doch für den Hochwasserschutz in der Bevölkerung war dieser Schritt notwendig. Im Lauchetal gibt es viele Biber und man muss davon ausgehen, dass es auch bei uns in Zukunft mehr von ihnen geben wird.» Doch Marcolin ist sich sicher, dass die Schutzmassnahme mit BPAO eine nachhaltige Lösung darstellt, die das Zusammenleben zwischen Mensch und Tier auch in Zukunft ermöglicht.
Ist der Hochwasserschutz in Bettwiesen dadurch gewährleistet?
«Ja und nein», meint Marcolin. Denn von diesen Bibermassnahmen profitiere unter anderem auch die Nachbargemeinde Lommis, da dieses Rückhaltebecken ein Teil des Hochwasserschutzes darstellt. Gerade bei den starken Niederschlägen Ende Mai habe sich bereits gezeigt, dass die Massnahmen greifen. Um nun auch noch in der eigenen Gemeinde dafür zu sorgen, dass sich ein Fall wie im Jahr 2015 nicht wiederholt, als Mitte Juni ein starkes Gewitter den Dorfkern in Bettwiesen komplett überschwemmt hatte und mehrere Keller unter Wasser standen, wurde an der Gemeindeversammlung vom 25. Juni der Kredit für die Revitalisierung des Aneterbachs bewilligt. Das Öffnen des Baches im Siedlungsgebiet wird dafür sorgen, dass ein optimaler Hochwasserschutz gewährleistet werden kann. Der Start für die Umsetzung dieses Projekts ist für Mai 2025 geplant, beenden will man es bis September 2026.
jms
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